2018-12-06

Kurt Bangert, Buchbesprechung: Werner Zager, Hier stehen wir - Können wir auch anders?

Buchbesprechung
 
Werner Zager (Hg.), Hier stehen wir – können wir auch anders? Reformation und Aufklärung: Impulse für den Gottesdienst, Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2018 (ISBN 987-3-374-05634-7), 167 Seiten, Paperback, 24,00 Euro.
 
Die hier abgedruckten Aufsätze gehen auf die Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum im September 2017 in der St. Remberti-Gemeinde in Bremen zurück. Im Fokus des von Werner Zager, Präsident des Bundes, herausgegebenen Bandes steht das Verhältnis zwischen der Reformation, deren 500-jähriges Jubiläum die Evangelische Kirche 2017 feierte, und der Aufklärung, die seit 250 Jahren das europäische Denken geprägt hat. „Hier stehen wir“ erinnert an Luthers Standfestigkeit. „Können wir auch anders?“ fragt danach, wie der evangelische Gottesdienst der Zukunft aussehen könnte.

Der erste Beitrag von Privatdozent Dr. Alf Christophersen von der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg trägt den Titel „Liberaler Protestantismus zwischen Reformation und Aufklärung“.

Christophersen macht eine tour d’horizon durch die einige wichtige Denker der modernen Philosophie und Theologie, darunter Kant, Schleiermacher, Hegel, von Harnack, Charles Taylor usw. und fragt, ob Luther ein Vorläufer der Aufklärung gewesen sei. Christophersen verneint die Frage. Die Reformation habe zwar den wichtigen Freiheitsgedanken eingebracht und sei dadurch gekennzeichnet, dass das Evangelium ganz ins Zentrum gerückt wurde. Schleiermacher steuerte zum Protestantismus noch die Bedeutung des religiösen Erlebnisses bei und die Individualisierung des religiösen Gefühls. Religion kann auf die Begriffe des Wortes Gottes und des Glaubens an die Gnade Gottes reduziert werden. Aber die Reformation war noch sehr im Mittelalter verhaftet. Neu seit der Aufklärung sei die Notwendigkeit, einen Sachverhalt für andere Personen verständlich und nachvollziehbar zu machen; ihn gleichsam zur Sprache zu bringen. Der Glaube müsse sich auf das Denken einlassen, um sich so aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Kennzeichen einer liberalen (von der Aufklärung geprägten) Theologie sei das Bemühen, eine vernünftige Religion mit der überlieferten Lehrmeinung in Einklang zu bringen, sodass die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es ist Aufgabe der Vernunft, den inneren Zusammenhang der Geschichte historisch-kritisch zu durchdringen. „Auch religiöse Erfahrung, Mystik und Spiritualität sind nur dann im Recht, wenn sie sich prinzipiell vernunftoffen zeigen.“ (S. 17) Der Glaube lebt aber auch von der Kommunikation und der Protestantismus von seiner Vielfalt. Sich auf den kanadischen Theologen Charles Taylor berufend, befasst sich Christophersen mit dem Phänomen der Säkularisierung. Wir haben es mit einem linearen Rückgang des Glaubens und der religiösen Praxis zu tun. Der Glaube habe seinen Status der Ungreifbarkeit verloren. In einer pluralistischen Gesellschaft treffen ganz unterschiedliche Formen von Glaube und Unglaube aufeinander. Positiv sei dabei, dass die Religion sich aus dem Bereich des Öffentlichen zurückziehen musste; denn eine moderne Demokratie muss zu verschiedenen Glaubenspositionen den gleichen Abstand halten. Schon die Romantiker hätten danach gefragt, ob wir in einer entzauberten Welt lebten, und sie haben diese Frage verneint und verschiedene Formen der Wiederverzauberung eingeführt. Eine davon sei die Schaffung von Relationen und Resonanzen (nach Hartmut Rosa). Es geht darum, dass die Sinne, der Körper und die Emotionen des Menschen durch die sich inszenierende Religion angesprochen werden. „Gerade auch an dieser Stelle mag eine besondere Leistungskraft liberaltheologischer Tradition darin zu sehen sein, dass sie über ein sensibles Sensorium für die fragile, aber produktive Wechselwirkung von Glaube, Vernunft und Kultur verfügt, und zwar in einer Weise, die es durchaus vermag, Individualität und Gemeinschaft konstruktiv und lebensdienlich aufeinander zu beziehen.“ (S. 25)

Andreas Rössler hat einen Aufsatz über „Die Religion der Wahrheitsliebe“ beigesteuert. Das reformatorische Christentum sei zunächst eine Religion der Freiheit (Christus befreit zur Freiheit), aber auch der Wahrheitsliebe. Dieser Ausdruck sei besser als Wahrheit oder Wahrhaftigkeit, denn weder könnten Christen Anspruch auf „die Wahrheit“ erheben noch Anspruch darauf, stets wahrhaftig zu sein. Wahrheitsliebe impliziere nur das Streben und Suchen nach der Wahrheit, ohne die Sicherheit, sie je umfassend zu erreichen. Allerdings sei auch die These, es gebe keine objektiven, sondern nur rein subjektive Wahrheiten, fehlgeleitet, da auch diese These anmaßend sei. Rössler fragt dann nach dem Verhältnis von Wahrheit und Einheit und kommt zu dem Schluss, dass Einheit um jeden Preis die Wahrheit kompromittieren kann. Wahrheit sei aber auf jeden Fall mit „Liebe“ zu verknüpfen. Eine trostlose, brutale Wahrheit, die ohne Liebe verabreicht wird, dient der Wahrheitsliebe nicht. Zur Wahrheit gehört auch der Zweifel, weil echte Wahrheitsliebe immer das Recht zu zweifeln einschließt. Schließlich befasst sich Rössler mit dem Verhältnis von Wahrheit und Wort Gottes. Das Wort Gottes ist Wort der Wahrheit und kommt zu uns auf dreierlei Weisen: (1) in Jesus Christus, (2) in dem von ihm Zeugnis ablegenden biblischen Text und schließlich (3) in der mündlichen Verkündigung. (Hier folgt Rössler der Wort-Gottes-Theologie Karl Barths, ohne sich allerdings auf ihn zu berufen.) Allerdings spielt hier auch, wie schon Luther lehrte, die menschliche Vernunft hinein. Werde er nicht durch Zeugnisse der Schrift oder durch klare Vernunftgründe überwunden, so Luther auf dem Reichstag in Worms, so könne er nicht widerrufen. Zum Schluss beruft sich Rössler neben Jan Hus und Sebastian Castellio auch auf Albert Schweitzer. Die Religion, so Schweitzer, habe keinen Grund, der Auseinandersetzung mit der historischen Wahrheit aus dem Wege zu gehen.

Wolfgang Pfüller fragt in seinem Beitrag: „Predigt als religiöse Rede oder als Verkündigung des Wortes Gottes?“ Pfüller zufolge wird die Predigt nach reformatorischem Verständnis auch heute immer noch als Verkündigung oder doch wenigstens als Geschehen des „Wortes Gottes“ verstanden. Gewiss nicht im Sinne des Schweizer Reformators Heinrich Bullinger (1504–1575), der die Predigt des Wortes Gottes mit dem Wort Gottes gleichsetzte. Vielmehr werde die Predigt heute eher im Sinne von „Gottes Wort im Menschenwort“ verstanden; denn erst im Hören verwandele sich das Menschenwort in Gottes Wort. Doch auch gegen diese Darstellung wendet sich Pfüller, denn – egal, wo wir das Wort Gottes verorten – „die immer subjektiv bleibenden menschlichen Worte werden unzulässig objektiviert und zugleich hominisiert “, also vermenschlicht und auf ein menschliches Maß gebracht. Schlimmer noch: Indem man mit dem Begriff des Wortes Gottes die jederzeit fehlbaren menschlichen Worte auf den allein unfehlbaren Gott projiziert, „werden menschliche Worte in unzulässiger Weise gegen Kritik immunisiert“. Dem stellt Pfüller nun die Position Wilhelm Gräbs gegenüber, der Predigt schlicht als „religiöse Rede“ verstanden wissen will, wobei sowohl die biblischen Texte als auch die Situation der Hörer und Hörerinnen religiös interpretiert würden. Das gelte nicht zuletzt für Kasualien, also für Predigten bei Taufe, Konfirmation, Trauung und Begräbnis. Pfüller wollte aber noch einen Schritt weiter gehen und Predigt als „interreligiösen Dialog“ verstehen. Dabei solle der Prediger zwar mit einer festen, starken Überzeugung auftreten, aber doch nicht so, als ob diese Überzeugung eine unerschütterliche, nicht mehr in Frage zu stellende Wahrheit verkündige. Das Gegenüber, die Hörer und Hörerinnen, dürften diese Überzeugung als Angebot annehmen oder auch ablehnen. Der Prediger könne zuweilen auch solche Fragen ansprechen, auf die er selbst keine Antwort wisse, und dann deren Beantwortung den Hörern anheimstellen. Insgesamt sollte eine Predigt frisch und unterhaltend sein. Oder, um es mit Luther zu sagen: „Tritt fest auf. Mach’s Maul auf. Hör bald auf.“

In seinem Aufsatz „In Gottes Gegenwart“ schreibt Ingo Zöllich zum Thema „Beten und Bekennen“ und meint, bezogen auf das Vaterunser und das im evangelischen Gottesdienst ebenfalls gesprochene Apostolische Glaubensbekenntnis, dass „wir auch anders können“, womit er sich aber nur auf die Pfarrer bezieht, nicht jedoch auf die Gemeinde, die doch meist zu akzeptieren habe, was ihr von Pfarrern vorgegeben werde. Pfarrer sollten die Diversität in ihren Gemeinden berücksichtigen, so Zöllich, und möglichst viele Hörer und Hörerinnen sollten dem Vaterunser und auch dem Credo zustimmen können. Neben dem Vaterunser gibt es ja auch noch das frei gesprochene Gebet, das Herz und Vernunft ansprechen solle, aber doch so, dass sich beim Hörer kein Widerstand rege. Wenn jemand zum Beispiel nicht an Engel glaube, werde eine Bitte um den Schutz der Engel sein Herz nicht unbedingt erwärmen, vielmehr wird es allenfalls als kitschig empfunden. Man muss auch nicht immer den „allmächtigen Gott“ ansprechen, wo er doch viele unserer Nöte nicht zu lindern vermag. Eine „Allmacht Gottes“ sei nicht unbedingt die Erfahrung des Menschen. Der „Allmächtige“ wecke allzu supranaturalistische Assoziationen. Andererseits sei Gott auch nicht ohnmächtig, sondern wirke ja durchaus in unserem Leben. – Weil viele Gläubige sich heute mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis schwertun, habe der Pfarrer die Freiheit, auch andere Bekenntnisse auszuprobieren. Durch einen unabänderlichen, feststehenden Bekenntnistext werde Gott statisch. Man müsse das Credo auch nicht von der ganzen Gemeinde sprechen lassen. Man kann es vorlesen, sodass der Hörer für sich entscheiden kann, ob er ihm zustimmt oder nicht. Es werden umso mehr Gottesdienstbesucherinnen und -besucher den Gebeten und dem Bekenntnis mit Herz und Vernunft zustimmen, je mehr inneren Gestaltungsraum die Texte für sie eröffnen, je mehr sie also zu ihren eigenen Texten werden können. Will man das Apostolische Glaubensbekenntnis allerdings beibehalten, so würden schon die richtigen Einleitungsworte eine angenehme Distanz zum Text herstellen, etwa wenn man sagte: „Bekennen wir unseren Glauben mit den vertrauten Worten der Väter und Mütter.“ (S. 93) Noch besser findet Zöllich es allerdings, wenn man das Apostolikum durch ein modernes Bekenntnis oder einen ganz anderen Text ersetzt.

Jan Hermelink schreibt zum Thema „Abendmahl – Inszenierung von Kirche zwischen reformatorischer Dogmatik und aufgeklärter Mündigkeit. Für den an der Universität Göttingen Praktische Theologe Lehrenden gilt die These, dass der Vollzug des Abendmals in der Regel vor der Deutung des Abendmahls steht. Denn für die Gläubigen ist die Teilnahme am Abendmahl oft existenziell wichtiger als das, was die Eucharistie für sie theologisch bedeutet. So kann die Frage, ob man überhaupt an der Abendmahlsgemeinschaft teilnehmen darf oder nicht, größere Bedeutung gewinnen als die Frage, wie denn das Verhältnis von Wein und Brot zum Blut und Leib Christi zu denken sei. Aus reformatorischer Perspektive stellt das Abendmahl vor allem Gottes Vergebungszusage dar. Durch diese Zusage wird der Gläubige Teil der evangelischen Gemeinschaft (denn: kein Abendmahlsvollzug ohne Gemeinschaft). Aus gegenwärtiger Perspektive sind allerdings einige Probleme zu benennen, wie: düstere Atmosphäre, Beklemmung, Angst, Thematik von Schuld und Sühne, Blut usw. Darüber hinaus haben wir es mit einer Praxis zu tun, welche die Konfessionen scharf trenne. Hinzu kommen praktische Probleme wie diese: Sollen Kinder, Ungetaufte, Fremde, Kranke teilnehmen dürfen? Wem muss das Abendmahl verweigert werden? Soll Einzelkelch oder gemeinsamer Kelch verwendet werden? Soll Wein oder Traubensaft gereicht werden? Wer darf das Abendmahl austeilen: Pfarrer, Prädikanten, Diakone? Das Abendmahl wird zunehmend zur Option. Nur 38% der evangelischen Kirchenmitglieder betrachten das Abendmahl als zum Evangelisch-Sein gehörend. Aus der Sicht der Aufklärung unterliegt das Abendmahl der Freiheit des Einzelnen, sowohl was die Teilnahme als auch die Deutung betrifft, die der aufgeklärte Mensch dem Mahl beimisst. Individuelle Deutungen, die sich aus eigenen Erfahrungen und Hoffnungen ergeben, sind entscheidender als kirchlich-theologische Deutungen. Eine mündige Mahlpraxis vollziehe sich (auch) jenseits der Kirche. Aus der Sicht einer Glaubens- und Kirchenreform ergeben sich ungewohnte Möglichkeiten: Die Feiernden sollten mehr zu Wort kommen. Das Mahl kann auch außerhalb der Kirchen (etwa in Privathäusern oder Krankenhäusern) gefeiert werden. Es kann mit festlichen Mahlzeiten verknüpft oder mit diakonischen Aufgaben (Mahl und Tafel) verbunden werden. Die Leitung des Abendmahls könne gerne auch in andere Hände als in die von Pfarrerinnen und Pfarrern gelegt werden[font=Times New Roman].[/font]

Dorothea und Werner Zager äußern sich zum Thema „Undogmatische Texte zu vertrauten Melodien. Impulse zu einer Gesangbuchreform“. Schon seit es evangelische Gesangbücher gibt, habe man sich um Verbesserungen bemüht: Sprache wurde geglättet, Reime bereinigt, schwierige Satzgefüge, Fremdwörter ersetzt usw. Änderungen wurden auch den Bedürfnissen und dem Geschmack der Nutzer angepasst. Ab dem 18. Jahrhundert zog auch der Geist der Aufklärung in die Gesangbücher ein, beispielsweise durch die Lieder von Christian Fürchtegott Gellert oder Friedrich Gottlieb Klopstock. Immer wieder gab es neue Gesangbücher, mit neuen Texten und Inhalten. Als 1950 das neue Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) erschien, sah Karl Ferndinand Müller später darin das Versäumnis, „den ganzen Fragenkomplex um die Existenz des Menschen in Theologie und Philosophie, die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, der Entmythologisierung … nicht zur Kenntnis genommen, sondern als unlegitime Fragestellung abqualifiziert“ zu haben. (S. 117) Die Revisionsbedürftigkeit unserer Kirchenlieder zeige sich schon an der Sprache: Vokabeln wie Erbarmung, Freudigkeit, Gnadenbrunn, himmelsüß, Lindigkeit, wunderlieb, himmelan, geduldiglich, gottseliglich oder grausamlich in unseren Gesangbüchern seien teilweise Jahrhunderte alt und muten heute nur noch befremdlich an. Weniger problematisch seien die Melodien, die den Menschen oft ans Herz gewachsen sind. Beliebte und vertraute Melodien sollten erhalten bleiben. Gute Erfahrungen habe man mit neuen Texten auf alten Melodien gemacht. Auf diese Weise kann es gelingen, sich von sprachlich und theologisch fragwürdigen Texten zu verabschieden, ohne deswegen bewährte und musikalisch überzeugende Melodien aufgeben zu müssen. So kann man auch neue Themen wie Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aufnehmen. Auch können problembehaftete Inhalte ganz neu artikuliert werden, etwa wenn Dieter Frettlöh den Auferstehungsgedanken vergeistigt: „Dass Jesus Christus aufersteht,/ bedeutet für meinen Glauben,/ weil Jesu Sache weitergeht,/ kann ich es mir erlauben,/ der neuen Freiheit mich zu freun/ und keine Macht der Welt zu scheun,/ wie sie sich auch gebärdet.“ Oder wenn Otmar Schulz zum Tod Jesu reimt, ohne den Sühnegedanken zu propagieren: „Stirbst draußen vor dem Tor,/ stirbst mitten in der Welt./ Im Leiden lebst du vor,/ was wirklich trägt und hält.“ Es sei zu hoffen, so meinten Zagers zum Schluss, dass die Chance alternativer, gerade auch undogmatischer Texte zu vertrauten Melodien für ein neu zu erarbeitendes Evangelisches Gesangbuch genutzt werde (S. 142).

Helmut Fischer, ehemals Professor für Homiletik und Gottesdienstgestaltung am Theologischen Seminar Friedberg/Hessen, steuert einen Beitrag zum „thematischen Dialog-Gottesdienst“ bei, den er selbst als Pfarrer in der Französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt/Main praktizierte. Nach ersten Versuchen beschloss seine Gemeinde, diese Dialog-Gottesdienste an jedem ersten Sonntag im Monat durchzuführen. Dabei wurde die Sitzordnung so gestellt, dass sich alle Gemeindemitglieder gegenseitig sehen konnten. Statt hinter Pult und Altar setzten sich der Moderator und die Fachberater an einen schlichten Tisch. Das Thema wurde vorgestellt und von den Fachberatern Einführungen aus unterschiedlichen Sichtweisen gegeben. Nach den Eröffnungsstatements befragte der Gesprächsleiter die Fachberater und moderierte ein Podiumsgespräch, bevor die Gemeinde eingeladen wurde, sich am Gespräch zu beteiligen. Bei diesem Dialog ging es weniger um ein Streitgespräch oder darum, unterschiedliche Positionen nebeneinanderzustellen, sondern um ein gemeinsames Suchen nach Lebensantworten, „die uns die Botschaft Jesu zu klären aufgibt“. Der Gesprächsgottesdienst wurde durch Orgelspiel, Gebet und Lied der Gemeinde eingeleitet und durch Abkündigungen, Vaterunser, Segenswort, Orgelspiel usw. beendet. Dass es bei diesen Gottesdiensten zu keiner Einbahn-Kommunikation von oben nach unten kam, war für eine Gemeindeglieder zwar gewöhnungsbedürftig, aber schließlich ließen sich die meisten Gottesdienstbesucher überzeugen, wie gewinnbringend es sein konnte, aufeinander zu hören, unterschiedliche Ansichten und Argumente gelten zu lassen, den eigenen Gesichtskreis zu erweitern und ein spezielles Problem von allen Seiten zu beleuchten. Der Gottesdienstbesuch war um 50 bis 120 Prozent höher als normale Sonntagmorgengottesdienste. An Themen wurden u.a. behandelt: Jugendkriminalität, politische Verantwortung, die Frau in der Gesellschaft, Sterbehilfe, das Glaubensbekenntnis, der Wahrheitsbegriff, die Auferstehung und die Zukunft der Religion.

Als letzter Beitrag im Jahresband des Bundes wurde noch die Predigt in den Band aufgenommen, die Pfarrerin Isabel Klaus zur Tagung in der St. Remberti-Gemeinde hielt. Statt einer traditionellen Bibelauslegung erzählte sie eine fiktive Geschichte mit dem Titel „Luther bei die Fische“, mit der sie die tiefe Kluft zwischen Martin Luther und der Reformation einerseits und der modernen, aufgeklärten Theologie andererseits anschaulich und originell illustrierte. Ihre narrative Predigt, in der sie die fiktiv-schaurige Begegnung zwischen dem deutschen Reformator und dem Vater der liberalen Theologie, Friedrich Schleiermacher, schildete, kam leichtfüßig daher, war sprachlich kunstvoll und zugleich tiefgründig und aussagekräftig. Die Predigt wurde bereits in Heft 6/2017 von Freies Christentum abgedruckt.

Für alle, die an einem modernen und zeitgemäßen Gottesdienst interessiert sind, stellt dieser Jahresband ein geradezu unverzichtbares Desiderat dar.

Kurt Bangert

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